Aus dem Jahresbericht der Denkmalpflege im Großherzogtum Hessen 1902-1907. Bearbeitet und herausgegeben im Auftrag Grossh. Ministeriums des Innern. Bd. 1. Darmstadt 1910.
Provinz Starkenburg, Kreis Gießen, Berichtsjahr 1905/1906 von H. Walbe

GRÜNINGEN. Grüninger Warte (Reste einer Windmühle). Die Unterhaltungsarbeiten wurden im Auftrag der Fürstlich Solms-Braunfelsischen Rentkammer durch den Fürstlichen Baumeister Seiler in sorgfältigster Weise ausgeführt. Die obersten Schichten, welche durchschnittlich auf l m Höhe ausgewaschen waren, wurden abgebrochen und von neuem aufgemauert, die Öffnungen wurden mit karbolisierten und mit Asphaltbleipappe geschützten Eichenbalken in der ursprünglichen Art wieder abgedeckt. Der oberste Sandsteinkranz, der vorzüglich verklammert und verankert war, blieb in seiner Lage, der dahinter liegende hölzerne Kranz, auf dem sich die Haube drehte, wurde neu befestigt. Für gute Ableitung des Aufschlagwassers wurden Vorkehrungen getroffen. Die Sandsteingewände wurden verkeilt und alles Mauerwerk, dessen Bestand gefährdet war, unterfangen.
Herr Baumeister Seiler ist auch in dankenswerter Weise der Geschichte dieses kulturgeschichtlich interessanten Denkmals nachgegangen. Er teilt darüber unter anderem folgendes mit:

Die Windmühle auf der „Worth" bei Grüningen wurde im Jahre 1713 unter der Regierung des Grafen Wilhelm Moritz zu Solms-Braunfels erbaut. Die Bezeichnung „auf der Worth", sowie die Lage der gut befestigt gewesenen Stadt unterhalb dieses die Umgegend überragenden und beherrschenden Hügels lassen darauf schließen, daß vordem an dieser Stelle ein Wartturm stand.

Während die beiden älteren Windmühlen in Solmsischen Landen — in Wölfersheim (1552) und in Weckesheim (1685) — scheinbar noch nach deutschem System als hölzerne Bockmühlen mit drehbarem Gehäuse ausgeführt waren, wurde bei der Grüninger Mühle zum ersten Male das holländische System mit drehbarer Dachhaube zur Ausführung gebracht. Der Graf Wilhelm Moritz, der sich durch Anlage vieler industrieller Werke und Hebung des Wohlstandes seiner Untertanen sehr verdient gemacht hat, zeigte für den Bau der Grüninger Windmühle ein ganz besonderes Interesse, was seine sehr häufigen Besuche daselbst anno 1713 und 1714 beweisen, namentlich auch eine Verordnung vom Jahre 1715, welche ich, weil sie von Interesse sein dürfte, abschriftlich beifüge*). Über der Mühle hat leider kein guter Stern gewaltet; sie wurde von vielem Mißgeschick heimgesucht und bereits im Jahre 1794 nach 80jährigem Bestande dem Verfalle preisgegeben. Sei es, daß die Lage eine ungünstige war oder Konstruktionsfehler die Ursache waren — die Reparaturen hörten nicht auf. Auch die Beschaffung geeigneter Handwerker machte große Schwierigkeiten. Viele Arbeiten wurden von Braunfelsern erledigt. Die Reparatur der Mühleneisen mußte auf den Gräflichen Hüttenwerken bei Braunfels und an der Dill erfolgen und, soweit Handwerker in Grüningen oder in der Nachbarschaft zu haben waren, gaben sie zu teilweise leider sehr berechtigten Klagen Anlaß, wie z. B. solches aus einem Schreiben des Amtsverwalters vom 22. Oktober 1713 hervorgeht: „Meister Pein, der Mühlarzt, undt der Schmid sein zwey versoffene liderliche mäner, welche in allem schädlich seyn. Diese Nacht sindt die Eyssen am Wellbaum entzwey gangen, undt steht nun wider still, ich bin so ungedultig, dass man der zwey Saufbrüder halben die Mühle bei so gutem windt muss stehen lassen, ich mag sagen wass ich will, so achten sie alles nichts, die leuth fahren wider nach anderen mühl, nur um der geringen sach so noch einzurichten war."

Im Jahre 1791 machte eine Kaiserl. Kommission die Fürstliche Regierung darauf aufmerksam, daß die Mühle baufällig sei, daß die Pacht die Reparaturkosten nicht mehr decke, und daß bei einem Neubau eine angemessene Verzinsung des Baukapitals nicht herauszurechnen sei. Die hessische Regierung beschloß im Jahre 1794, die Mühle eingehen zu lassen und das Wohnhaus auf Abbruch an den Meistbietenden zu verkaufen. Die Fürstlich Solmsische Regierung ließ dieses stillschweigend geschehen. Im Jahre 1823 hat der Oberhörger Müller wegen der fraglichen Mahlbanngerechtigkeit einen Prozeß gegen den Fürsten zu Solms angestrengt, der im Jahre 1838 noch nicht entschieden war, dessen Ausgang aber aus den Akten nicht zu ersehen ist.

_________________________

*) Wir Wilhelm Moritz Graf zu Solms-Braunfels, Greifenstein und Hoingen, auch zu Tecklenburg, Crichingen und Lingen, Herr zu Münzenberg, Rheda, Pütlingen, Dortweyler und Beaucourt fügen hiermit zu wissen, dass wir Unsern Windmüllern verbotten haben, niemand von ausländischen, als welche darin mit bringen und abholung der fruchten zu thun haben, in die Windmühle zu lassen und nicht zu verstatten, dass solche lang in der Mühle bleiben, damit durch viele Menschen die Boden undt trappe nicht beschwehrt werden, undt dardurch sinken undt ausser Ordnung kommen, man auch desto besser wahrnehmen könne, dass weder taback darin geraucht noch die asche aus denen Pfeiffen, worin sich teuer aufhalten kan, ausgeklopft, auch keiner unter solchen Leuthen sich erkühne, etwas anzugreifen undt zu verränken, wodurch denen Mühlgängen schaden zugefügt werde, sonderlich aber wollen Wir, dass die Windmüller keine Männer, Zimmerleute, Mühlärtzte, Schmidte, Schlosser, noch andere dergleichen Handwerksleuthe hinein lassen, welche an Unserer Windmühle (zu deren Erfindung Wir viele reissen undt sonst andere grosse Unkosten angewandt, umb dergleichen Mühlwerker zu sehen, und das rechte maass aus fernen Landen herzuholen) umb eben dergleichen Mühle aufzubauen, etwas abzustehlen gedenken. — Wie Wir dann unseren gnädigsten Befehl hiermit reiteriert haben wollen, dass sich niemand erkühnen, noch unterstehen solle, wider diese Unsere Verordnung zu handeln, sondern wer dergleichen Mühlwerk verlangt, der kann ebenfalls undt gleich wie Wir, an solche Orthe sich verfügen, undt dieselbe daher langen, massen wir diessen sehr kostbahr undt schwehren Mühlbau allein zu unserer Unterthanen Bestem undt nicht in der Absicht anderen frembten dardurch einigen Schaden noch abbruch zu thun, haben aufrichten lassen, dahero dann Unsere beeydigte Müllern dahin zu sehen haben, dass dieser Unserer Verordnung stricte nachgelebet werde und so sich jemand wider Verhoffen dargegen setzen solte, solches in der Stalt kundt machen, damit solchem in Zeiten vorgebogen werde, vornach sich männiglich zu richten.

Sigl. Hoingen, den 16. February 1715.